Urlaub im Ruhrpott
Wann immer ich im Vorfeld verlauten ließ, dass im Frühjahr eine Woche Urlaub im Ruhrgebiet geplant sei, wurde ich angeguckt, als ob ich entschieden hätte, mich für eine Woche
zu Selbstfindungszwecken auf die Deponie Schönberg zurückzuziehen. Urlaub im Ruhrgebiet zu machen, schien meinen Bekannten und Kollegen eine schier unvorstellbare
Abstrusität zu sein.
Nun gut, ich war noch nie im Ruhrgebiet, meine Frau auch nicht, und so plante sie unseren Aufenthalt und wir zogen in eine Ferienwohnung in Essen-Steele.
Ich habe im und über das Ruhrgebiet unter anderem folgendes gelernt:
- Es ist grün. Deutlich grüner, als ich jemals gedacht hätte. Wir sind durch Wälder und Flußauen gewandert in dem Gefühl, es hätte auch Bayern oder Niedersachsen sein können. Es ist phantastisch grün im Ruhrpott.
- Sie sind hier stolz auf den Bergbau, die Kohle, den Stahl, das Malocher-Image. Zu Recht, es wurde hier in dieser Industrie jahrzehntelang hart gearbeitet, es bedeutete Opfer, einen bescheidenen Wohlstand (für die Malocher, der Wohlstand der Besitzerfamilien war und ist ungleich größer) und ein unglaublich starkes Gemeinschaftsgefühl.
- Die Region hat einen unfassbaren Strukturwandel hingelegt. Bergbau und Kohle sind erledigt, Stahl ist im radikalen Wandel. Sie haben das Beste draus gemacht, neue Unternehmen angesiedelt, neue Felder erschlossen - Dienstleistungssektor, Wissenschaft und Forschung, Kultur.
- Alles ist voller Autobahnen, Autos, riesigen (wirklich: riesigen) Parkhäusern, Autohäusern und Tankstellen. Das ganze Ruhrgebiet ist voller Autos und voller Dienstleistungen und Angeboten rund ums Auto.
- Die Autobahnen verfügen bei hoher Verkehrslast über eine ampelgesteuerte Zuflussregelung (“Ein Fahrzeug bei Grün”), an die sich gehalten wird.
- Die autofahrenden Menschen sind entspannt und rücksichtsvoll, wenigstens im Vergleich zu Hamburg.
- Es gibt einen funktionierenden ÖPNV, mit dem man gut durch die Region kommt, wenn man 20 Minuten Zeit für den Takt und dann nochmal 5 bis 15 Minuten für die Verspätungen mitbringt.
- In den großen Städten wird relativ offensiv gebettelt. In der Fußgängerzone, irgendwo auf der Straße, selbst wenn man im Außenbereich eines Restaurants sitzt und isst, kommen Leute und fragen explizit nach absurden Summen (20 oder 30 Cent). In Hamburg sitzen die Leute eher mit Pappbecher auf der Straße, laufen aber auch durch die S-Bahnen. Das wiederum habe ich hier nicht erlebt.
- Es gibt wirklich gute Kunst- und Kulturangebote, Museen, Veranstaltungen, öffentliche Kunstwerke auf stillgelegten Halden. Ich hatte das deutliche Gefühl, dass Kunst und Kultur hier kein zu bedienendes Nischenthema ist, weil es in irgendeinem Förderplan steht, sondern dass das ein Anliegen ist, was ernstgenommen wird.
- Die Leute sind auch dann nett und entspannt, wenn sie nicht Auto fahren. Down to earth, sympathisch unaufgeregt, freundlich, verbindlich. Ein sehr angenehmer Menschenschlag.
- Die Region strahlt altes Westdeutschland aus. Fußgängerzonen wie damals, in den Stadtteilzentren gibt es Metzger, Bäcker, Änderungsschneidereien, Spielzeugläden, kleine Einzelhandels- und Dienstleistungsgeschäfte, die alle irgendwie laufen. Keine Mega-Center, die alles kaputtmachen, sondern funktionierende Stadtteilzentren, die nicht nur aus Barbershops und 99-Cent-Läden bestehen. Da guckt der Harburger ein bisschen neidisch, dass es das anderwo noch gibt.
- Das Ruhrgebiet ist besser als sein Ruf und mehr als Schimanski-Kulisse und -klischee.
Es war schön hier. Ich denke, ich komme wieder.